Das Porträt: „Aus einer Aachener Garage an die Spitze der Luftfahrt"
Dr. Sabine Klauke ist Chief Technology Officer von Europas größtem Luft- und Raumfahrtkon-zern Airbus und gestaltet dort die nächste Revolution in der Geschichte des Fliegens. Nun wird sie mit dem Aachener Ingenieurpreis ausgezeichnet.
Die Geschichte von Dr. Sabine Klauke beginnt bodenständig – in einer Aachener Garage. Sie war sieben, vielleicht acht Jahre alt und verbrachte den ganzen Nachmittag damit, ihr Fahrrad zu reparieren. Neugier und Ehrgeiz waren ihr Antrieb, das Fahrrad wieder ins Rollen zu bringen. Es gelang, und Neugier und Ehrgeiz blieben bis heute – wenn beispielsweise ein Haushaltsgerät kaputt geht, wird es zunächst einmal auseinandergebaut. Wenn sie davon er-zählt, lacht sie immer wieder herzlich, ob dieser Anekdoten. Aber Leidenschaft und Begeisterung für Technologie, die in diesen Geschichten stecken, ist geradezu greifbar. Dr. Sabine Klauke hat aus Leidenschaft, Begeisterung und natürlich großem Fachwissen eine erfolgreiche Berufskarriere gemacht: Die gebürtige Aachenerin ist Chief Tech-nology Officer des Weltkonzerns Airbus und Executive Vice President Engineering der Commercial Aircraft Sparte. Als Technikchefin des Flugzeugbauers Airbus führt sie weltweit rund 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und verfolgt die große Mission, eine Lösung für klimaneutrales Fliegen zu finden.
Als Anerkennung ihrer beruflichen Karriere und für den nachhaltigen Eindruck, welchen sie in ihrer derzeitigen Position als Chief Technology Officer bei Airbus auf technischem Gebiet bereits hinterlassen hat, wird Dr. Sabine Klauke am Samstag, 7. September 2024, in einem festlichen Akt von RWTH und Stadt Aachen im Krönungssaal des Aachener Rathauses mit dem Aachener Ingenieurpreis ausgezeichnet. Zum zehnten Mal wird diese Auszeichnung mit freundlicher Unterstützung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) verliehen. „Wir Menschen wollen fliegen – gleichzeitig hat ein Umdenken eingesetzt und wir sehen die Umweltbelastung durch die gegenwärtige Luftfahrt. Dr. Sabine Klauke stellt sich dieser großen Herausforderung einer nachhaltigeren Luftfahrt. Sie steht für neue Technologien und dafür, wie diese mitnehmend umgesetzt werden“, begründet Professor Ulrich Rüdiger, Rektor der RWTH Aachen, die Entscheidung.
Mehr Zufall als Liebe
Dass Dr. Sabine Klauke am Ende zu einer der weltweit wichtigsten Entwicklerinnen der modernen Luft- und Raum-fahrt wurde, kam auch durch einen Zufall. Während des Studiums der Produktionstechnik in Dresden entdeckte sie eine Ausschreibung für ein Airbus-Stipendium. Es war aber eher die Besonderheit des Produktes Flugzeug als die Liebe zum Fliegen, die sie auf ihren weiteren Weg führte. „Die Aufgabe hat mich gepackt“, erinnert sie sich.
Blicken wir noch einmal zurück: Nach dem Studium arbeitete Dr. Sabine Klauke, geboren 1973, zunächst bei dem mittelständischen Unternehmen DELMIA, einer Marke von Dassault Systèmes. Zwischen 1998 und 2002 digitali-sierte sie dort Produktionsprozesse in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Sie war Mittlerin zwischen den Kun-dinnen und Kunden auf der einen Seite und den Softwareentwicklerinnen und -entwicklern auf der anderen Seite.
Erfolg in der Zusammenarbeit beruht vor allem auf gegenseitigem Verständnis – etwa zwischen Menschen mit unterschiedlichen Blickwinkeln, Funktionen im Unternehmen, Kulturen – ein entscheidender Faktor, den sie zu ihrem Credo gemacht hat. 2002 wechselte sie damit sozusagen im Handgepäck zu Airbus.
Sie arbeitete in internationalen Teams, hatte maßgeblichen Anteil an Flaggschiff-Projekten wie A380 und später A350. Ihre Aufgaben umfassten Produktion, Projektmanagement, Kundenbetreuung, Change Management wie auch Engineering. Bis 2018 war sie in der zivilen Luftfahrtsparte unterwegs, von 2018 bis 2021 CTO der Verteidi-gungs- und Raumfahrtsparte. Im Jahr 2021 wurde sie Mitglied des Executive Committee des Airbus Gesamtkon-zerns mit mehr als 137.000 Beschäftigten weltweit. In dieser Funktion verantwortet sie nicht nur technische Weiterentwicklung, bei ihr laufen auch alle Fäden zusammen beim Übergang der Luft- und Raumfahrtindustrie in eine nachhaltige und vor allem dekarbonisierte Zukunft.
Revolution und Evolution
Doch bevor eine falsche Erwartungshaltung geweckt wird: Es geht nicht um wilde Fantastereien in der Zukunft. Um Kraftstoffverbrauch und Emissionen zu reduzieren, ergänzen sich mehrere Technologiestränge, die bereits heute wirken. Dazu kommen revolutionäre Konzepte, wie der Wasserstoff-Antrieb für Verkehrsflugzeuge.
Flottenmodernisierung wirkt sich schon heute auf die Reduzierung der Emissionen aus. Jedes Flugzeug, welches Airbus aktuell ausliefert, verbraucht rund 20 Prozent weniger Kraftstoff als die Vorgänger-Generation. Doch nur etwa 25 Prozent der heute fliegenden Flotte sind Flugzeuge der neuesten Generation wie zum Beispiel Airbus A320neo oder A350.
Eine weitere Schlüsselrolle spielen nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF - Sustainable Aviation Fuels). Diese lassen sich aus Biomasse oder durch sogenannte „Power-to-Liquid“-Verfahren aus Energie und Wasserstoff gewinnen. Derzeit sind die Flugzeuge von Airbus bereits für bis zu 50 Prozent SAF zugelassen, bis 2030 sind 100 Prozent angestrebt. „SAF heißt nicht mehr Labormaßstab, Reagenzglas und Forscher im weißen Kittel, sondern Tanklast-zug und mehrere Tonnen in den Bauch der Beluga-Transportflugzeuge“, sagt Sabine Klauke und beschreibt, wie Airbus SAF im internen Alltagsbetrieb bereits heute nutzt. Das Unternehmen unterstützt weltweit das Hoch-skalieren der Produktion, denn aktuell sind nachhaltige Kraftstoffe nur in begrenztem Rahmen verfügbar.
Ebenso wichtig beim Thema Dekarbonisierung ist die weitere Optimierung der Abläufe im Luftverkehr. „Eine Stan-dard-Warteschleife mit einem mittelgroßen Verkehrsflugzeug verbraucht rund 100 Kilogramm Kerosin, es lohnt sich, auch in diesem Sektor durch bessere Vernetzung und Planung den Verbrauch zu reduzieren“, sagt die Airbus CTO. Dies ist eine Gemeinschaftsaufgabe für Flugzeughersteller, Flugsicherung und Fluggesellschaften.
Eher revolutionär ist Wasserstoff als Energieträger in der zivilen Luftfahrt. „Diesen nutzen wir in der Raumfahrt seit Jahrzehnten. Aber es geht nicht zum Mond, sondern nach Mallorca, daher müssen wir erheblich umdenken“, sagt Klauke. Airbus hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 ein Passagierflugzeug mit Wasserstoff-Antrieb in den Liniendienst zu bringen. Verkehrsflugzeuge sind in der Regel 12 bis 18 Stunden am Tag im Einsatz, mit einer Ab-flug-Zuverlässigkeit von 99,7 Prozent und mehr. Entsprechend hoch sind auch die Anforderungen der Airlines. Diese erwarten ein Wasserstoff-Flugzeug, das genauso alltagstauglich ist wie aktuelle Produkte. Weiterhin arbei-tet das Unternehmen beim Thema Wasserstoff nicht nur am Flugzeug, sondern gemeinsam mit Partnern weltweit auch an der Infrastruktur.
In einem Punkt gibt es keine Diskussion und keine Kompromisse: „Flugzeuge müssen ohne Wenn und Aber sicher sein“, betont Klauke. Genauso betont sie die gesellschaftliche Bedeutung der Luftfahrt: „Fliegen muss für alle Menschen zugänglich bleiben, es darf nicht zum Luxusgut werden, da ist sich die Industrie einig. Wir müssen dabei über unsere Heimatländer hinausschauen. Die Luftfahrt dient weltweit der Vernetzung der Völker und Güter.”
Sabine Klauke gestaltet Revolution und Evolution mit. Ihr Wort hat Gewicht. 2023 wurde sie vom Manager Magazin als „Prima inter Pares“ und damit als einflussreichste Frau in der deutschen Wirtschaft geehrt. „Ich glaube, dass ich den interessantesten Job habe, den man im Moment in der Industrie haben kann. Es geht ja darum, dass wir die nächsten Dekaden vorbereiten“, sagte sie der Tagesschau.
Ihre vermittelnde Art
Ein Highlight ihrer ersten Jahre bei Airbus war die Mitarbeit am Airbus A380. Klauke war beispielsweise für den Einbau von Kabeln und Systemen zuständig. Am 27. April 2005 hob er dann ab, der A380, mit einer maximalen Kapazität von bis zu 853 Passagieren und einer Spannweite von knapp 80 Metern das größte in Serienfertigung produzierte zivile Verkehrsflugzeug in der Geschichte der Luftfahrt. „Die Begeisterung bei uns allen, die wir betei-ligt waren, war riesig“, erzählt sie von diesem Tag im April 2005.
19 Jahre später verbringt sie natürlich keine Zeit mehr damit, Kabel und Systeme einzubauen. Wichtig ist ihr aber weiterhin, im engen Austausch zu sein mit den Designerinnen und Designern genauso wie mit den Mitarbeitenden in der Produktion und auch den Kundinnen und Kunden. Egal, wie groß die Aufgabe als CTO am Ende ist. Das kommt an. „Veränderungen bekommen wir nur über die Menschen in die Realität. Wir müssen den Weg des Fort-schritts gemeinsam mit den Menschen beschreiten“, sagt sie.
Nun wird sie auch für diese vermittelnde Art, technologischen Wandel wie die Digitalisierung und Industrie 4.0 vermittelnd zu den Menschen zu tragen, in ihrer Heimatstadt geehrt. Denn auch wenn sie mehrmals umzog, in Braunschweig beispielsweise Abitur machte und anschließend im Rahmen eines Sozialen Jahres in einem Kranken-haus in Frankreich arbeitete, mit Aachen verbindet sie immer noch ein großes „Heimatgefühl“, sie sei immer ein „Öcher Kind“ mit europäisch weltoffener Prägung geblieben. Daher war die ursprüngliche Planung auch, nach der Zeit in Frankreich in Aachen an der RWTH zu studieren.
Doch es waren bewegte und bewegende Zeiten in Deutschland, die Mauer fiel und plötzlich öffnete sich die Welt Richtung Osten. Klauke schaute sich Dresden an und der Aufbruch dort ließ sie sich dann an der TU Dresden ein-schreiben. Nun kehrt sie später als gedacht zurück und aus einem anderen Grund – um den Aachener Ingenieur-preis entgegenzunehmen. „Emotional schließt sich für mich ein Kreis“, sagt sie. Viele Erinnerungen werden wach, auch an die Mensabesuche mit ihrem Vater, der an der RWTH arbeitete oder die Jazzkonzerte, für die sich die Saxofonistin begeisterte. Also nicht nur an den Tag mit dem reparierten Fahrrad in der Garage, aber der bleibt doch sinnbildlich für ihre weitere Reise.
Text: Thorsten Karbach